Die Anwälte aus der Kanzlei am Markt in Hamburg-Wellingsbüttel informieren aus dem Familienrecht:
Muss Kinderreisepass an Umgangsberechtigten herausgegeben werden?
Hierzu hat der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst entschieden, dass es eine ausdrückliche Gesetzesgrundlage nicht gebe.
Ein Herausgabeansprucht ergebe sich allerdings in Analogie zu §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB.
Eine Analogie erfordere zum einen eine planwidrige Regelungslücke. Zum anderen müsse die Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte gegeben sein, also der entscheidungsrelevante Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.
Beide Voraussetzungen seien hier gegeben:
Dem Gesetzgeber sei seit langem bewusst, dass Handlungsbedarf für die Schaffung eines entsprechenden Herausgabeanspruchs bestehe. Die Bundesregierung habe sich im Jahr 1974 im Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge dahin geäußert, dass eine Herausgabe als denkbare Lösung verfahrensrechtlich zwar als Anwendungsfall einer einstweiligen Anordnung ausgestalte und in das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aufgenommen werden könne. Jedoch habe sie zugleich erklärt, den Herausgabeanspruch wegen seiner Ähnlichkeit zum Besitzanspruch als materiellrechtliche Vorschrift ausgestalten zu wollen. Dieser Gedanke sei indessen im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr aufgegriffen worden. Ersichtlich habe sich der Gesetzgeber mit der Regelung in § 50 d FGG abgefunden und keinen weiteren Handlungsbedarf mehr gesehen. Mit dem FGG-Reformgesetz sei § 50 d FGG (bzw. § 620 Satz 1 Nr. 8 ZPO) dann jedoch aufgehoben worden. Dass damit die “Rechtsgrundlage” für die Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen entfallen und nicht in einer anderen Norm ersetzt worden sei, habe der Gesetzgeber ersichtlich übersehen. Hierzu habe er lediglich ausgeführt, dass § 95 Abs. 1 Nr. 2 FamFG nunmehr die bisher in § 50 d FGG geregelte Vollstreckung der Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen erfasse. Damit habe der Gesetzgeber verkannt, dass § 50 d FGG – trotz seines verfahrensrechtlichen Charakters – jedenfalls auch als (materiellrechtliche) Anspruchsgrundlage für die Herausgabe gedient habe. Weil § 95 Abs. 1 Nr. 2 FamFG sich indessen nicht zu den persönlichen Sachen des Kindes verhalte, könne die Norm diesen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Das habe der Gesetzgeber offensichtlich verkannt, weshalb eine planwidrige Regelungslücke zu bejahen sei.
Daneben bestehe auch eine Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte. Sowohl Personensorge als auch Umgang erforderten, dass der jeweils berechtigte Elternteil in die Lage versetzt werde, die gemeinsame Zeit mit dem Kind ungestört und damit kindeswohldienlich zu verbringen. Dazu müssten dem berechtigten Elternteil all diejenigen persönlichen Gegenstände, Kleidung und Urkunden herausgegeben werden, die das Kind während seines Aufenthalts bei dem die Herausgabe begehrenden Elternteil voraussichtlich benötigt.
Eine entsprechende Verpflichtung ergebe sich aus der Zusammenschau der §§ 1632, 1684 BGB. Wenn § 1632 Abs. 1 BGB das Recht umfasse, die Herausgabe des Kindes zu verlangen, dann müsse das auch für die Gegenstände gelten, die das Kind für die Zeit nach seinem Aufenthaltswechsel benötigte. Damit wiederum korrespondiere die Wohlverhaltenspflicht der Eltern aus § 1684 Abs. 2 BGB, wonach sie alles zu unterlassen haben, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. In erster Linie werde den Eltern damit zwar untersagt, das Kind gegenüber dem jeweils anderen Elternteil negativ zu beeinflussen. Erfasst werde von der Regelung aber auch alles andere, was geeignet wäre, das Zusammensein mit dem Kind zu erschweren. Deshalb falle unter § 1684 Abs. 2 BGB auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass das Kind im Besitz etwa von Kleidung, Schulsachen sowie Reisedokumenten ist.
Das gelte freilich nur insoweit, als der jeweils berechtigte Elternteil für die Ausübung der Personensorge oder des Umgangsrechts tatsächlich auf die Urkunden oder Sachen, deren Herausgabe er begehrt, angewiesen sei. Das könne der Fall sein, wenn das Kind bei gemeinsamer Sorge seinen Lebensmittelpunkt – wie hier aufgrund einer Elternvereinbarung – bei einem Elternteil habe. Als Obhutselternteil i.S.v. § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB bedürfe er grundsätzlich aller für das Kind wichtigen Dokumente. Aber auch der umgangsberechtigte Elternteil, der mit dem Kind beispielsweise eine (Auslands)Reise unternehmen wolle, bedürfe namentlich des Kinderreisepasses.
Die berechtigte Besorgnis, dass der die Herausgabe begehrende Elternteil mit Hilfe des Kinderreisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreite (etwa das Kind ins Ausland entführen) wolle, könne dem Herausgabeanspruch allerdings im Einzelfall unter Berücksichtigung der wechselseitigen Loyalitätspflichten entgegenstehen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2019 – XII ZB 345/18).